Und gleich noch ein Post zum Thema Bildung. Zum wiederholten Male findet sich Deutschland im Vergleich der OECD-Mitglieder ganz weit hinten wieder. Diesesmal beim Thema Studienanfänger. Während in den vergangenen 10 Jahren die anderen Nationen im Durchschnitt (!) 41% mehr Studienanfänger vorzuweisen hatten, waren es in Deutschland gerade mal 5%. Die Reaktion darauf ist nicht gerade heftig ausgefallen. Ein paar Schuldzuweisen da, ein bißchen parteipolitisches Säbelrasseln dort, aber so schlimm kann es ja doch nicht sein, schliesslich geht es mit der Wirtschaft ja steil bergauf.
Die große Hürde
Vor dem Beginn des Studiums steht ersteinmal in fast allen Fällen das Abitur und der Besuch des Gymnasiums. Bereits ohne Hausaufgaben und Vorbereitung auf Klausuren hat der Besuch der Oberstufe nicht selten bereits den Umfang einer 40-Stunden-Woche. Und das ohne Bezahlung. Als Geldquelle kommen dann nur noch Nebenjobs in Frage, und das alles während Dein Nachbar, der eine Ausbildung bei VW macht, regelmäßig mit einem neuen Jahreswagen vor der Tür steht und mindestens drei Wochen im Jahr im Urlaub ist.
Wer jetzt der Meinung ist, ich kloppe hier Vorurteile raus, das Thema ist Psychologie. es geht darum wie man es sieht und nicht wie es wirklich ist.
Ganz ehrlich, die 500 Euro Studiengebühren sind, auf den Monat umgerechnet, ca. 80 Euro, mit anderen Beiträgen sind es pro Monat ca. 110 Euro. Das ist nicht viel im Gegensatz zu anderen Ausgaben. Aber für jemanden, der pro Monat maximal 400 Euro verdient hat ist das eine ziemlich hohe Hürde.
Zusammen mit allen anderen nicht ganz einfachen Entscheidungen, die man nach dem Abitur fällen muss (die ja meistens entscheidene Weichen für die Zukunft stellen) sorgt das schon einmal für den ersten Teil der nicht für ein Studium zur Verfügung stehenden. Und machen wir uns nichts vor: wer einmal Geld verdient hat und aus dem Lernprozess raus ist, geht nicht wieder an eine Uni. Es war schon nach einem Jahr Bundeswehr sehr, sehr schwierig wieder reinzukommen.
Bloß kein Ingenieur ...
Die nächste Frage ist: was studiere ich? Die Formel für die Kosten ist dabei auf den ersten Blick ganz einfach: n (Anzahl der durchschnittlichen Studiendauer, wird in den meisten Studienführern angegeben) * (500 + x) (Kosten für das Studentenwerk usw., meistens so 100 bis 200 Euro) = Kosten. Und es gibt wirklich Studiengänge, in denen man sehr zügig abschliessen kann. Nur Ingenieurstudiengänge zeichnen sich selten durch niedrige durchschnittliche Studiendauern aus, sind also schon so teurer.
Das ganze kann man dann noch prima mit einer meistens im selben Dokument angegeben "Risiko-Abschätzung" verknüpfen, nämlich die Studienabbrecherquote. Nach dem vierten Semester abgebrochen bedeutet da schonmal 2000 Euro an Studiengebühren in den Sand gesetzt und dem Abschluss kein Stück näher. Diese Abbrecherquote ist wo am höchsten? Richtig, bei den Ingenieure. Aber dazu mehr im Kapitel "Abbruch!".
Was haben McGuyver, Bambino von Navy CIS und Jean Pütz gemeinsam? Im Fernsehen sind sie ganz lustig, aber heiraten möchte sie trotzdem keiner (ok, bei Jean Pütz müssen es mindestens drei Frau gewesen sein, er ist in dritter Ehe verheiratet). Der Ingenieur hat mit einem Imageproblem zu kämpfen. Karohemd und Samenstau, ich studier' Maschinenbau. Wer einmal in einer Vorlesung mit 800 Mann und geschätzt 20 Frauen gesessen hat, mag darüber nicht mehr so recht lachen.
Welche Ursachen dieses Imageproblem hat, werde ich noch einmal ansprechen. Nur eins, man kann bei der Einführung von neuen Studiengängen schon fast Bullshit-Bingo mit den Begriffen Medien, Kommunikation, Design und European spielen ;)
Abbruch!
50% ! Soviele Studienanfänger in Ingenieurstudiengängen bringen ihr angefangenes Studium nicht zuende. Das heisst auf jeden fertigen Ingenieur kommt einer, der Geld, Lebenszeit und auch Begeisterung umsonst gegeben hat.
Warum sind das soviele? Wer jetzt den Argumentationshammer Studiengebühren schwingt, liegt falsch, die Abbrecherquote ist davon praktisch unabhängig.
Erstmal nicht zu unterschätzen ist das die meisten Studiengänge im Ingenieur-Bereich zulassungsfrei sind. Das bedeutet auch, das viele Leute die nicht so recht wissen was sie machen wollen, erstmal ein paar Semester studieren.
Ich habe immer gedacht, Studienfächer mit einem hohen NC haben einen hohen Qualitätsanspruch. Das ist Unsinn. Der NC richtet sich einzig und allein nach der Anzahl der Studienplätze bezogen auf die Bewerber. Und eine Studienrichtung kann auch wegen seines Rufes als einfaches Fach oder seines tollen Namens wegen beliebt sein.
Aber überforderte Bewerber, kann das alles sein? Naja, die Institute für Ingenieurswissenschaften blicken oft auf eine lange Geschichte zurück und die ist bei der Ausstattung der Hörsäle und den Lehrmethoden auch noch ganz gut sichtbar. Da sitzen Assisten, die wohl nach dem ersten Anschiss ihres Professors vor 30 Jahren über den zu guten Ausfall einer Klausur immernoch eine Gleichverteilung über die Noten legen und das Maximum bei 5,0 ansiedeln. Oder anderes gesagt, bei einigen Klausuren fallen seit Jahrzehnten 66% +/- 10% durch.
Im Semester gibt es auch selten die Möglichkeit seine Leistungen zu überprüfen. Die "Abrechnung" kommt dann bei der Klausur. Ob man den Stoff von einem Jahr dreistündiger Vorlesung in zwei Stunden abfragen kann sei dahingestellt. Zwei Stunden an einem schlechten Tag und man hat das Ergebnis von vielen Wochen Arbeit versaut. Alles nicht sehr motivierend.
Was nicht nur Ingenieurwissenschaften sondern die Lehre an Universitäten allgemein betrifft ist das sich das Bewusstsein, das Studenten auch Ansprüche an die Lehre haben. Durch die Studiengebühren enthält dieser Anspruch auch noch etwas mehr Legitimität. Was aber sonst an Betreuung zum Teil vorhanden ist, ist traurig. Da werden Übungen mit Tutoren aus Kostengründen gar nicht angeboten und die große Übung zur Vorlesung wird nur dazu genutzt die Rechnungen, die man in der Vorlesung nicht geschafft hat, in unbeschreiblicher Geschwindigkeit abzuschreiben. Lerneffekt: Null.
Stundenpläne, die schon im Grundstudium, wo eigentlich alles durchgeplant und ohne Wahlmöglichkeit ist, Überschneidungen aufweisen und dazu führen, das man einige Klausuren schreibt ohne die Vorlesung gehört zu haben. Und die Klausuren besteht man dann auch noch weil man sich die Klausuren der letzten zehn Jahre angeschaut hat. Das spricht nicht unbedingt für das System "Klausur oder stirb".
das Bild der Bildung in der ÖffentlichkeitBei der Bundeswehr war während der Grundausbildung ein Fahrradweg direkt neben dem Exerzierplatz. Einmal fuhren dort ein paar hübsche Mädels vorbei und unsere ganze Kompanie drehte sich geschlossen um. Der Einlauf des Spiesses danach stand unter dem Motto "das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit" und weiteres Blabla ;)
Im Studium gibt es keinen Spiess und sonst offenbar auch wenige, die sich um den Stellenwert von Bildung in Deutschland sorgen machen. Wieso auch?! Auf ProSieben kann ich bei "Das Model und der Freak" sehen was heute "normal" und gut und "freakig" und schlecht ist. Da werden hübsche junge Frauen auf blassgesichtige Informatik-Studenten und andere Stereotypen losgelassen um aus ihnen "richtige Männer" zu machen. Ein Wissenstransfer zum Thema "korrektes Deutsch" in umgekehrter Richtung scheint zwar manchmal sinnvoll, ist aber offensichtlich nicht vorgesehen. Was die jungen Damen in dreissig Jahren vorhaben wird auch nicht thematisiert. Vielleicht machen sie's ja wie Gülcan. Nach dem Abitur keinen Studienplatz in BWL gekriegt, dafür bei Viva lieb in die Kamera gelächelt und danach den Sohn eines Großindustriellen geheiratet. Die Verfilmung dieser Hochzeit, so munkelt man, soll dem privaten Fernsehsender eine Million Euro Wert gewesen sein.
So, genug gejammert?! Ich mag mein Studium und auch wenn es manchmal schwierig ist, ich würde es wohl wieder so machen. Das sind eher meine Gedanken zur Haltung vor allem der Regierenden zum Thema Bildung: Geld scheint besonders in der Bildung eine Antwort auf alles zu sein. Als die Pisa-Studie herauskam, wurde prompt beschlossen neue Lehrer einzustellen. Das ist gut wo es zuviele Fehlstunden gibt. Es bringt aber nichts, wenn man überhaupt keinen Anreiz vermittelt etwas zu lernen.
Es ist gut neue Studiengänge zu schaffen und auszustatten, aber es bringt nichts wenn man hinterher Absolventen mit einem toll klingenden Abschluss aber ohne Arbeitsplatz hat.
Bildung zeigt die Weitsichtigkeit einer Gesellschaft. Was man heute verändert, wirkt sich unter Umständen erst in zwanzig Jahren aus. Wer heute einen Erstklässler "verliert" weil er einen Euro gespart hat, bezahlt in 12 Jahren zwei für ihn.