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24.5.06

Kalle Schulze

Heute habe ich in der Peiner Allgemeinen Zeitung ein Interview mit meinem ehemaligen Geschichtslehrer Karl Schulze gefunden. Ich will es Euch nicht vorenthalten, ich finde es toll. Ich hatte ihn drei Jahre lang in Geschichte und ich denke, er hat meine Sichtweise ein Stück mitgeprägt.

aus der PAZ, 24.05.06

Anders, nicht besser

Menschen neigen dazu, die Vergangenheit zu verklären, sagt der Peiner Historiker Karl Schulze. Der 70-Jährige unterrichtete bis 2001 Geschichte und Deutsch am Ratsgymnasium.

War früher alles besser?
Bestimmt nicht. Es ist ein menschliches Phänomen, dass man sehr viele unangenehme Dinge vergisst oder verdrängt. Der Philosoph Jean Paul hat es so beschrieben: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Das stimmt, aber gerade die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass die Erinnerung auch die Hölle sein kann. Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab. Früher war es nicht besser als heute, ich erinnere nur an Seuchen wie die Pest, die im Mittelalter Millionen Menschen dahingerafft hat, oder verheerende Kriege wie den 30-jährigen Krieg. Aber es gab auch immer Phasen, in denen es aufwärts ging. Zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg. Da herrschte tatsächlich Optimismus in Deutschland, nicht so wie heute, wo viele pessimistisch in die Zukunft blicken. Aber das kann man nicht vergleichen. Deutschland lag damals in Trümmern. Früher war alles anders: Diesem Satz könnte ich zustimmen.

Sie würden auch nicht sagen, dass heute alles besser ist?
Nein, denn jeder Fortschritt hat auch seine schlechten Seiten, Auswirkungen, mit denen man nicht rechnen konnte. Früher, als ich jung war, war es in Deutschland die Ausnahme, dass eine Frau und ein Mann zusammen leben, ohne verheiratet zu sein. Dies bedeutete einen Tabubruch. Heute ist das kein Problem. Wir leben in einer verleichsweise freien Gesellschaft. Diese Entwicklung, die ja eigentlich fortschrittlich ist, bringt jedoch auch Verluste mit sich. Die Menschen trennen sich leichtfertiger, die Kinder sind die Leidtragenden.

Wieso finden so viele Menschen, dass früher alles besser war?
Damit drücken sie auch ihre Angst vor Neuem und vor Veränderungen aus. So wie bisher weiterzumachen, ist bequemer, verspricht ihnen Ruhe und Sicherheit. Veränderungen muss man auch aushalten können.

Eine Lieblingsbeschäftigung der Menschen scheint es zu sein, Kriege zu führen, sich gegenseitig umzubringen… Das ist heute so wie früher. Hier macht der Mensch offenbar keine Fortschritte…
Es ist etwas anderes, mit einem Faustkeil auf einen anderen Menschen loszugehen, als mit einer Maschinenpistole auf ihn zu zielen. Die Art des Tötens hat sich also verändert, die Brutalität aber nicht. Ein anderes Beispiel: Zu Zeiten der Französischen Revolution wurde die Guillotine als fortschrittliche, humane Art der Hinrichtung gepriesen. Vorher schlug ein Henker oft drei Mal mit dem Beil zu, ehe der Kopf abgetrennt war. Zwei bis drei Exekutionen pro Tag waren die Regel. Die Guillotine hat Massenhinrichtungen ermöglicht. An einem Tag wurden in Paris nun 1000 oder noch mehr Menschen getötet. Der Holocaust hat gezeigt, dass es noch menschenverachtender und kaltblütiger geht.

Das hört sich nicht so an, als würde in Zukunft alles besser werden?
Das weiß man erst, wenn es so weit ist. Aber Menschen sind eben auch egoistisch, gierig und rücksichtslos. Verhängnisvoll ist, dass Feldzüge häufig religös oder ideologisch begründet werden. Denken Sie nur an die Kreuzzüge oder die Anschläge auf das World Trade Center. Solche Kriege oder Anschläge sind besonders brutal, weil die Angreifer glauben, für die Wahrheit zu kämpfen.

Gibt es keine Hoffnung?
Es hat immer wieder Versuche der Menschen gegeben, sich selbst zu bändigen. Toleranz ist ein wichtiger Fortschritt, aber es reicht nicht aus, sie nur zu predigen, man muss auch etwas dafür tun. Hoffnung ist zwar auch eine Täuschung, aber ohne sie könnte man nicht leben. Der Mensch braucht die Hoffnung.
Interview: Mathias Begalke

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