Die Kinder von Schewenborn, der Verdacht (Dürrenmatt), ein paar Recclam-Hefte, das alles habe ich in der Schule gelesen. Auch die Lehrbücher über den Nationalsozialismus waren interessant, eine Mischung zwischen Bewunderung für die militärischen Erfolge, Entsetzen über die Taten und manchmal ziemlich reisserische Präsentationen, die mit guten Punkten belohnt worden. Aber ein Buch haben wir nicht gelesen: das Tagebuch der Anne Frank. Die Lebensgeschichte hört sich zunächst an wie die Vorlage für einen Kitschroman:
Anne Frank, geboren 1929 in Deutschland flieht zusammen mit ihrer Famile vor den Nazis in die Niederlande. Dort versteckt sich die Familie mit anderen Juden in einem Hinterhaus und bleibt dort über 2 Jahre unentdeckt bevor ein Arbeiter der benachbarten Firma das Versteck verrät und die Familie gefunden und in ein Konzentrationslager gebracht wird. Mit dem letzten Zug nach Auschwitz gebracht stirbt Anne dort einen Monat vor Kriegsende an Typhus.
Und so war mein erster Gedanke als ich es bei amazon bestellt habe: was erwartet mich da? Gut, ich bin sowieso nicht der Fan von Fiktion, aber kann ein Buch, das in der Schule gelesen wird, so gut sein? Kann eine vierzehnjährige ein Buch schreiben, das einen fesselt bis zum Schluss?
Nach den ersten Seiten ist klar: ja, sie kann! Eine Inhaltsangabe macht hier keinen Sinn, es ist ein Tagebuch. Unverändert und bis auf das Vorwort unkommentiert. Und gerade das macht es zu einem einzigartigen Zeugnis gegen den Nationalsozialismus und für Menschlichkeit, nichts daran wurde vom Lauf der Geschichte verändert oder durch neue Sichtweisen verändert.
Wenn man dieses Buch liest und man dabei daran denkt, das jemand vor über 60 Jahren genau das erlebt hat und es keine Geschichte, läuft es einem kalt den Rücken runter. Auch weil dort nicht von verlorenen Schlachten, wichtigen Entscheidungen und bedeutenden Veränderungen die Rede ist, sondern weil dort jemand aufschreibt was sie gerade fühlt und denkt, an vielen Stellen erinnert man sich selbst daran, wie es als junger Mensch war, direkt neben Dingen, die für uns heute unvorstellbar sind und fern wirken: "die Juden dürfen kein Fahrrad mehr besitzen" direkt neben einer Beschreibung des Tagesablaufs und der Leute dort in der Prinsengracht in Amsterdam.
Für mich persönlich ist das Buch so beeindruckend weil ich eine Person kenne, die genauso schreibt wie Anne. Meine ehemalige Nachhilfeschülerin aus Vietnam die jetzt im Dezember 17 geworden ist und mit der ich mich oft und gerne unterhalte. Es ist faszinierend wie wenig sich die Ansicht von Gefühlen, Sehnsüchten und Wünschen verändert haben. Und es ist gleichzeitig erschreckend, wie wenig wir uns bewusst sind, wie gut es uns geht. Ich wollte den Beitrag eigentlich mit diesen Worten "Bestellungen bei Amazon haben einen Haken: die Lieferung. Und so kostete mich der Erhalt dieses Buches einige Nerven: erst kam das Paket am einzigen Tag in der Woche, wo ich nicht da war, dann war am Montag die Poststelle geschlossen und am Dienstag war das Paket auch noch nicht da." beginnen. Und dann wurde mir bewusst, über was ich mich da aufrege.
Wer es nicht in der Schule gelesen hat, dieses Buch ist absolut lesenswert. Nicht nur wegen der Lebensgeschichte der Autorin sondern auch, weil der Schreibstil der Autorin einzigartig und wirklich packend ist.
8.1.08
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
2 Kommentare:
Hm. Ich hab es auch leider nicht in der Schule gelesen, ich glaube nur mal in Auszügen. Eine ziemlich ähnliche Leseerfahrung hab ich mit den Briefen von Sophie Scholl gemacht... (siehe mein blog)
Irgendwie kann ich mich bei blogspot nicht über open id anmelden!?
Ah jetzt gings...
Kommentar veröffentlichen