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7.12.06

Berlin

Berlin

Es ist der vierte Dezember, es ist zu warm für diesen Monat, es regnet, man könnte eher denken das es sich um einen Tag Ende Oktober handelt. Dementsprechend traurig sehen die Weihnachtsmärkte aus die von einer vorweihnachtlichen Atmosphäre bei 11°C und Nieselregen leider nichts verspüren lassen. Ich steige in der Friedrichstraße aus und stehe direkt vor dem Hotel Adlon, Kaffee 8 €, mit einem Pagen vor der Tür der mich mit meinen Nicht-Lederschuhen möglicherweise genauso wie der Türsteher vor der Disco den Abend vorher schief angucken würde. Aber naja, ich bin auf dem Weg zum Brandenburger Tor, ein paar Fotos machen. Ein Tourist fragt mich auf Englisch, ob ich ein Foto machen könne, na klar mach ich das. "I was in Berlin" wird er zuhause in Großbritannien oder Amerika erzählen und das stimmt schon. Auf eine gewisse Weise.
Man kommt im weiteren Verlauf zum Reichstag und die Touristen, die in einer langen Schlange vor der Tür stehen denken sicher genau wie ich dass das Wetter nicht so recht zum Ort passt. Naja, die kennen den Reichstag noch nicht, ich schon, also kann ich fortfahren. Ich mache ein paar Fotos und lasse meinen Blick schweifen, da ist die norwegische Botschaft, das Kanzleramt und in etwas weiterer Entfernung der neue Hauptbahnhof.
Viel Glas und Metall, als ich vor vier Tagen mit 45 Minuten Verspätung dort ankam, auch Freitag abend um kurz vor 10 noch motivierte junge Bahnmitarbeiter am Bahnsteig die mir ein Getränk in die Hand drücken und fragen, ob ich noch weiter möchte und sie etwas für mich tun könnten. Nein, können sie nicht, ich werde von Christian abgeholt und verlasse den Bahnhof durch eine der drei Parkebenen tief unter der Erde und verpasse damit den Anblick von der anderen Seite über die norwegische Botschaft, das Kanzleramt und den Reichstag. Ein tolles Aushängeschild für unsere neue Bundeshauptstadt. Und neu kann man sagen, auch wenn die Wiedervereinigung schon über 15 Jahre her ist so wächst erst langsam zusammen was zusammen gehört.
Klar, dort wo die Touristen Fotos machen und die Busse des Bundespresseamtes oder der vielen Stadtrundfahrten herumfahren ist alles, was irgendwie mit älterer Geschichte zu tun hat, gesandstrahlt, erleuchtet oder neu gebaut. Zwischendrin immer mal wieder kleine Erinnerungsstätten, abstrakte Kunstwerke, oft behandeln sie das Dritte Reich und seine Opfer, seltener 40 Jahre deutsche Teilung.
Aber heute passt das alles nicht. Es ist trübe, regnerisch, oktoberhaft. Und ich habe den Tag auch anders verplant als die Touristenrouten abzulaufen. Berlin war vier Jahrzehnte nicht nur die Berührzone zwischen Ost und West, nicht nur eine Mauer mit Menschen drumherum sondern auch eine geteilte Stadt. Für die DDR die Hauptstadt, für die BRD eine kleine Insel im Ausland, weit weg vom Rest der Republik und noch weiter weg von der "Normalität" aus Bonn. Ein Ort wo man hinging wenn man nicht gefunden werden wollte oder einfach nur etwas Abenteuer und Freiheit vom politischen System gesucht hat. Die westliche Politik hielt sich aus Berlin bewusst heraus, und so wurde Berlins Geschichte oft von Menschen geprägt ohne politische Ämter oder Titel und heute ohne Büsten oder Denkmälern. Heute möchte ich einmal diese Geschichte anschauen und fahre in den Berliner Osten zum Plänterwald. Wie die Jahresringe eines Baumes durchfahre ich die verschiedenen Zonen um den Kern Berlins, die Häuser werden grauer und höher, dann werden die Lücken zwischen den Häusern größer und matschiger, Wohnwagensiedlungen und Industrie kündigen an das ich jetzt da bin, wo man nicht mehr wohnen möchte. Zu weit weg vom Zentrum für dieenigen, denen ruhiges Wohnen nicht so wichtig ist und zu nah dran für diejenigen, die ein ruhiges Haus im Grünen haben wollen.
Die Grenze dazwischen markiert die Spree und der Plänterwald. Hier steige ich aus und kann auch ohne Blick auf den Plan erkennen, das ich jetzt in Tarifzone B angekommen bin. Flache Häuser, viel Wald und sehr alte und sehr junge Menschen statt Straßenschluchten, Rasenflächen und Studenten. Und keine Spur von dem, was ich suche - den Spreepark. Der größte und modernste Vergnügungspark der DDR, danach Paradebeispiel für Wendezeit-Kapitalismus im Osten die dann damit endete, das der damalige Geschäftsführer 2002 heimlich die sechs besten Attraktionen nach Chile transportieren liess und später festgenommen wurde, als er knapp 200kg Kokain in eben diesen Geräten nach Deutschland wieder einführen wollte.
Seitdem ist der Park geschlossen und gehört offiziell der Stadt Berlin, aber eigentlich niemandem so richtig weil dort ehemalige Schauspieler Wohnrecht haben und nicht ganz klar ist welchem Gläubiger noch was zusteht von dem nicht mehr vorhandenen Geld.
Aber erstmal muss ich diesen Park finden. Eine junge Frau weisst mir die ungefähre Richtung, später treffe ich dann eine alte Frau die auf meine Frage nach dem Park mit Erstaunen und etwas Mistrauen reagiert. "Da ist doch niemand mehr" meint sie und weisst mir dann den Weg. Den ich ohne sie wohl auch nie gefunden hätte denn wer nicht genau hinschaut wird nicht erkennen, das da im Wald unter viel nassem Laub ein gut gepflegter und ziemlich breiter Weg liegt der gesäumt ist von hohen Lampen, wahrscheinlich noch aus Vor-Wendezeiten.
Und nach ein paar hundert Metern bin ich wirklich da. Ein paar alte Kassenhäuschen mitten im Wald mit einem großen Tor markieren den ehemaligen Eingang. Es ist schon interessant, was vier Jahre ohne Grünpflege so anrichten können. Man könnte denken, hier wäre seit 15 Jahren niemand mehr gewesen.
Große Schilder mit Hinweisen auf den Sicherheitsdienst, ein ebenso hoher wie morscher Zaun sowie ungeeignete Kleidung zeigen mir sehr schnell, das es wohl nichts wird mit einer genaueren Erkundung des Geländes. Macht nichts, ich möchte ja um halb acht im Zug und nicht auf einer Polizeiwache sitzen, so laufe ich aussen um den Zaun herum, was auch schon lang genug dauert und schaue durch rostige ehemals rote Bauzäune.
Auch wenn die sechs besten Attraktionen fehlen lässt sich klar erkennen, das die 15 Euro Eintritt sicherlich auch zum finanziellen Kollaps beigetragen haben, verglichen mit modernen Themenparks wie dem Disney-Land oder dem Heide-Park machen Second-Hand-Geräte von Rummelplätzen einfach nicht mehr soviel her. Trotzdem sehr eindrucksvoll, so ein halbzerfallener ehemailger Freizeitpark. Und während ich mich auf den Weg zur S-Bahn-Haltestelle mache und mich von DDR-Vergnügungsparkgeschichte entferne überlege ich mir mein nächstes Reiseziel: die Yorckstraße 59 in Berlin-Kreuzberg. Hier soll sich bis vor ungefähr einem Jahr die letzte Kommune im 68er-Stil befunden haben, mal sehen was davon noch zu sehen ist.
Die ersten Zeichen einer wilden Vergangenheit empfangen mich gleich an der Haltestelle Yorckstraße. "Kein Regenwald für Rinderzucht - boykottiert McBurger" in weissen Lettern an einer alten Eisenbahnbrücke. Da es noch mehr Brücken in Richtung Yorckstraße 59 gibt, gibt es auch noch ein paar ähnliche Sprüche aus der linken Ecke. Und dann bin ich da, Yorckstraße 58, dann gleich Yorckstraße 60. Oh, hinter einer Einfahrt an der bei uns "Privatgrundstück - Betreten verboten" stehen würde, befindet sich in Berlin ein ganzes Hinterhaus. Vorsichtig schaue ich um die Ecke in Erwartung von freier Liebe, freiem Denken und langhaarigen Menschen. Ein paar dunkle Gestalten tragen lange Stangen durch die Gegend. Vorbereitungen für den nächsten Protestmarsch? Etwas ängstlich schaue ich nach oben und bin erleichtert - in modernen Farben wird die Yorckstraße 59 renoviert und die dunklen Gestalten sind ein paar Gas-Wasser-Installateure bei Modernisierungsarbeiten. Auch das hat sich geändert, Berlin ist jetzt nicht mehr weit weg und Berlin-Kreuzberg nicht mehr an einer Grenze sondern jetzt in der nähe des Zentrums. Nicht mehr wilde politische Ideen werden da geschmiedet sondern schöner Wohnraum erstellt.
Ich bin etwas enttäuscht, schaue auf die Uhr und gehe zurück, mein Zug kommt bald. Ich gehe vorbei an ehemailgen Bahnbetriebsgebäuden, in denen sich jetzt ein Einrichtungsstudio befindet, schön hell erleuchtet, modern eingerichtet. Daneben ein Händler für böse getunte Autos. Als ich unter der alten Eisenbahnbrücke hindurchgehe, rauscht gerade ein schneeweisser ICE3 darüber hinweg.
Es bleibt doch noch etwas Zeit, ich gehe in die andere Richtung weiter und mal etwas weg von der großen Straße. Da gibt es sie tatsächlich noch, die verschmierten und verrammelten Häuser, in denen von 10 Klingelschildern nur eines beschriftet ist. Ein Schild, "Eintritt nur für Mitglieder und ab 18 Jahren" fällt mir auf, es hängt am Club der Berliner Boxfreunde e.V. Sehr freundlich.
Jetzt ist es aber wirklich höchste Zeit. Ich packe meine Sachen zusammen, Christian fährt mich zum Bahnhof und ich setze mich in einen fast leeren ICE nach Braunschweig. Eine Gruppe sektbeschwippster Mitvierzigerinnen lässt mich meinen MP3-Playen benutzen und irgendwie passend spielt der Zufallsgenerator "Geile Zeit" von Juli. Und während ich langsam beschleunigend Berlin verlasse beginne ich diesen Essay zu schreiben und überlege mir, was ich damit aussagen möchte. Wahrscheinlich frage ich mich einfach, in welchen Ruinen meine Kinder und Enkelkinder einmal herumsuchen werden. Und für mich persönlich die Erkenntnis, das man die Vergangenheit manchmal nicht so ganz objektiv sieht wie man es eigentlich möchte. Und da ist es ganz gut das nicht alles schön gesandstrahlt und erleuchtet ist, sondern manches einfach unbehandelt und objektiv einfach nur da steht.